1.1 Papsttum und Kirche im Umbruch
Der Erfolg von Martin Luthers Protest hängt u.a. mit den politischen und sozialen Umständen in dieser Zeit zusammen. Die Welt war im Umbruch. Aber auch das Papsttum befand sich bspw. mit Alexander VI. auf einem moralischen Tiefpunkt und die Geschäftstüchtigkeit von Ablasshändlern wie zum Beispiel Johannes Tetzel rief Luthers Kritik hervor.
I Inhaltliche Einführung
Die Reformbewegungen im Mittelalter, wie die von Waldes oder Hus (vgl. Baustein Reformbewegungen in der Kirche) führten nicht direkt zu einer grundlegenden Reformation der Kirche, sondern zu eigenen Glaubensgemeinschaften.
Dass die Reformation, die mit Martin Luther im 16. Jahrhundert begann, zu einer so großen Spaltung der römisch-katholischen Kirche führte, hat neben theologischen politische und ökonomische Ursachen. Diese Entwicklungen korrespondieren mit einer Veränderung des Weltbildes in der Renaissance bzw. Frühen Neuzeit.
Politisch: Das Verhältnis von Kirche und Staat
Die Spannungen zwischen Kirche und Staat bzw. Papst- und Kaisertum sind so alt wie die Kirche selbst. Im Mittelalter zeigen sie sich im Investiturstreit, im „Gang nach Canossa“ und dem Wormser Konkordat im Jahr 1122. Auch im 14. Jahrhundert waren Päpste und die Amtskirche tief in machtpolitischen Fragen verstrickt. In seiner Bulle “Unam sanctam” (1302) provozierte zum Beispiel Papst Bonifaz VIII. (1294-1303) radikal die weltliche Oberhoheit durch die Forderung nach einer allgemeinen Steuerfreiheit für die Kirche. Der mächtige französische König nahm daraufhin den Papst gefangen und zwang das Papsttum zur Übersiedlung von Rom nach Avignon. Papst Klemens V. (1305-1314), der erste nun folgende Papst in einer Reihe von französischen Päpsten, besiegelte die Abhängigkeit der Kurie von Frankreich. Diese sogenannte “Babylonische Gefangenschaft” des Papstes (Avignoner Exil) dauerte bis 1377 an. Es folgte eine Zeit (1378-1417), in der es zwei (Avignon und Rom), zeitweise sogar drei Päpste gab (und Pisa). Dies führte zu einem massiven Autoritätsverlust und zum absoluten Tiefpunkt im Ansehen und Einfluss des Papsttums. Die Konzilsbewegung konnte diese Zustände nicht auflösen. Beim Konzil in Konstanz 1415, wo Jan Hus als Ketzer verurteilt und verbrannt wurde, hatte man gehofft durch den erzwungenen Rücktritt des römischen Papstes Johannes XXIII. dem „Großen Schisma“ ein Ende machen zu können. Es blieben aber noch zwei andere Gegenpäpste mit ihren Machtansprüchen übrig, Papst Martin V. (1417-1431) stellte zunächst eine Lösung dar, erst 1449 gelang es, einen „Einheitspapst“ langfristig wieder durchzusetzen.
Ökonomisch: Der Ablass und das Geld
Im Exil von Avignon entfalteten die Päpste des 14. Jahrhunderts eine üppige Hofhaltung und Verwaltung. Das kirchliche Finanzsystem mit zahlreichen Abgaben belastete die Christenheit erheblich. Reiche Erträge brachte vor allem der Ablass, die Zahlung für den Nachlass von Bußstrafen. Statt Buße und Wallfahrten konnten diese Ablässe für Geld erworben werden. Ab 1476 konnte man nicht nur für sich, sondern auch für Verstorbene Ablässe erwerben, um deren Zeit im Fegefeuer zu verkürzen. Zu Beginn des 16. Jahrhundert wurde vom Vatikan der Ablass ausgeweitet, systematisch betrieben und das Eintreiben verpachtet. Überall in der Christenheit regte sich Unwillen und dann Widerstand gegen diese Zustände, was Erneuerungsbewegungen förderte. Bei der Besetzung des päpstlichen Thrones war zudem häufig Nepotismus im Spiel, von dem sich adlige Familien einen Gewinn von Macht und Einfluss erhofften. Aber nicht nur im Vatikan, sondern auch in den Bistümern und Ortskirchen gab es Missstände. Ämterkäuflichkeit und weltlicher Lebensstil bei den Bischöfen war mehr die Regel als die Ausnahme. Oft diente das Bischofsamt als Pfründe für unversorgte Adelige. Die Geistlichen und vor allem die Klöster kümmerten sich mehr um ihren Landbesitz und dessen Vermehrung (z. B. durch Erbschaften) als um ihre geistlichen Aufgaben. Dafür setzen sie schlecht ausgebildete und bezahlte Geistliche ein, die weder die Seelsorge noch die Gottesdienste richtig versorgen konnten.
Weltbild: Krise und Umbruch
Diese Missstände kann man auch als Beispiele für die Umbruchszeit zwischen Mittelalter und Neuzeit oder als Krise der Modernisierung auffassen. Denn obwohl die Päpste, besonders die Renaissance-Päpste, über das Wissen ihrer Zeit verfügten und teilweise Gelehrte waren, scheiterten sie an der Vereinbarkeit der neuen Erkenntnisse mit der althergebrachten Lehrmeinung über die christliche Lehre und die Bibel. Diese neuen Erkenntnisse betrafen eine neue Sichtweise in der Renaissance auf Mensch und Welt: Die gegenüber der Scholastik mit neuen Akzenten wiederentdeckte Rationalität der Antike (vgl. auch Stichwort Humanismus) führte zur Entstehung der modernen Naturwissenschaften, zu neuen geografischen Entdeckungen, zu einem verstandesmäßigen Erfassen der Welt und des Menschseins, frei von den engen und nicht mehr glaubwürdigen Bindungen durch die Religion. Die Diesseitigkeit erhielt eine stärkere Bedeutung, die Jenseitigkeit rückte in weitere Ferne.
Renaissance-Päpste
Den Tiefpunkt dieser Entwicklung bildeten die sogenannten Renaissance-Päpste, beginnend mit Nikolaus V. (1447) bis Klemens VII. (1527). Sie fühlten sich mehr als Fürsten, Feldherrn, Diplomaten, Künstler und Gelehrte denn als kirchliche Oberhäupter. Sie stammten meist aus berühmten und mächtigen Geschlechtern wie etwa den Piccolomini, den Medici und den Borgia. Besonders unter Alexander VI. (1492-1503) geriet das Renaissance-Papsttum in einen bis heute anhaltenden Verruf. Leo X. (1513-1521) plante den Bau einer neuen und prächtigen Peterskirche („Petersdom“) im Stil der Renaissance und erneuerte dazu 1514 den finanziellen Aspekt des Ablasses: der „Petersablass“, von dem die örtlichen Bistümer 50% des Ertrages erhalten konnten.
Ablass
Krise und Umbruch gingen in dieser Zeit auch mit einer allgemeinen Verunsicherung einher, die insbesondere zum Nachdenken über mögliche göttliche Strafen für Fehlverhalten führte. Die Verunsicherung drückte sich auch aus in einem gestiegenen Bedürfnis nach persönlicher Frömmigkeit, zunehmendem Reliquienkult, wachsender Heiligenverehrung und zahlreichen Buß- und Wallfahrten sowie den immer mehr nachgefragten Ablassbriefen. Der Ablass-Verkauf in Deutschland geschah unter anderem im Auftrag des Erzbischofs von Mainz: Albrecht von Brandenburg. Der Dominikanermönch Johann Tetzel verkaufte geschäftstüchtig und hemmungslos diese schriftliche Nachlässe auf die Bußstrafen (Sündenstrafen). Tetzels Treiben veranlasste Martin Luther 1517 zum Protest und führte schließlich zur Reformation.
Ein anderer Aspekt der Verunsicherung ist das Aufkommen der Hexenverfolgung, die im 16. Und 17. Jahrhundert ihr Höhepunkt haben sollte. Ein erstes Zeichen für den heraufziehenden Hexenwahn war die Hexenbulle von Papst Innozenz VIII. im Jahr 1484.
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