3.2 "Wie die Freiheit in den Glauben kam"
Didaktische Hinweise
Es geht in der UE über die Zeit von 1500-1530, dem Zeitalter der Reformation, um erste Orientierungen zu einer wichtigen europäischen Epoche. Eine Karte und Zeittafeln zu Martin Luthers Leben und zur Reformationsgeschichte (M5, Z6 und Z6a) bieten einen knappen Überblick. Eine Strukturskizze (Z1), die Unterrichtsschwerpunkte verdeutlicht, ist für Lehrerinnen und Lehrer gedacht.
Die Voraussetzungen des Jahres 1517 spiegeln sich auch in Biographien von Personen und in sozial-politischen Bewegungen zum Ende des 15. Jahrhunderts und zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Die Sehnsucht nach religiöser, sozialer und politischer Befreiung und Erneuerung findet in ihnen ihren vielfältigen Ausdruck. Ansätze zu Kritik und Widerstand zeigen sich sowohl hinsichtlich der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Situation um 1500 als auch zur geistigen und religiösen Situation.
Zu Beginn der Unterrichtseinheit soll das eigene Vor-Verständnis zum Thema „Freiheit“ geklärt werden. Dies kann mit Hilfe eines Clusters geschehen, das in zwei Minuten erstellt wird. In der anschließenden Schreibphase von acht Minuten entsteht aus dem Cluster ein Text von einer halben bis dreiviertel Seite zum Thema „Freiheit“. Der Text kann auch ein Gedicht oder Lied sein. Aus den Assoziationen der Schülerinnen und Schüler, die sich in den Texten zeigen, soll eine Typologie des Freiheitsverständnisses erstellt werden. Ziel ist es, zwei Grundformen unseres Freiheitsverständnisses herauszuarbeiten: Freiheit als politisch-gesellschaftlich vermittelte Emanzipation aus ökonomisch-politischen Abhängigkeitsverhältnissen und Freiheit als geistig-seelische Befreiung aus psycho-sozialen Zwängen.
Die entstandenen Texte werden von den Schülerinnen und Schülern vorgetragen, das sich in ihnen zeigende Freiheitsverständnis geordnet, eine Typologie wird entwickelt. Den Schülerinnen und Schülern werden außerdem Zitate, Aphorismen und Gedichte vorgelegt, die sie lesen, erläutern und der Typologie zuordnen: Welcher Freiheitsbegriff liegt vor? Welche Symbole werden zur Verdeutlichung des jeweiligen Freiheitsbegriffs verwandt? Nach dem Bewusstwerden des eigenen Freiheitsverständnis und der vertiefenden Auseinandersetzung anhand vorgegebener Texte, werden drei historische Texte arbeitsteilig in Gruppen behandelt. Die Texte zeigen unterschiedliche Lösungsmodelle auf dem Weg zum Freiheitsgewinn. Das Zurückgreifen auf ein Schicksal, einen Zeitzeugen vor dem hier ins Zentrum gestellten Zeitraum, ist zur Verdeutlichung der Entwicklung in der Zeit sinnvoll.
Vor der Gruppenarbeit gibt die Lehrkraft einen Überblick über Zeitströmungen; kann auch Hausaufgabe sein, sich über Hus, Taboriten/Hussiten und z. B. Beginen zu informieren.
Gruppe 1 erarbeitet anhand des Schicksals von Hans Böhm, des Pfeiferhänsleins von Niklashausen, das Verlangen nach diesseitiger Gerechtigkeit unter Berufung auf das Evangelium, auf eine sozialkritische Maria am Vorabend der Reformation. Die Verknüpfung von Evangelium und sozialer Forderung, das Gegenüber einer revolutionären und kirchlichen Maria findet sich auch in der Theologie der Befreiung Lateinamerikas.
Gruppe 2 skizziert am Schicksal von Joß Fritz und der Bundschuh-Bewegung das Reformkonzept und das Freiheitsverständnis von Joß Fritz. Wie werden hier die Botschaft des Evangeliums und die sozialen Forderungen der Bauern sowie deren Handeln aufeinander bezogen?
Gruppe 3 setzt sich mit dem Lebensweg Martin Luthers auseinander, wie er dem vorliegenden Brief Martin Luthers zu entnehmen ist, den er 21. November 1521 an seinen Vater schrieb (M5a). Da lag sein Auftreten auf dem Reichstag zu Worms hinter ihm und er befand sich auf der Wartburg. Hintergrundmaterial: Karte zu Luthers Lebensweg. (M5) Im Brief erwähnte Ereignisse werden Daten auf der Karte zugeordnet. Schülerinnen und Schüler, die Zeittafeln Karten vorziehen, können sich an der Zeittafel zu Luthers Leben (Z6) orientieren. Schwerpunkt der Aufgabe ist jedoch die Gestaltung des fiktiven Gesprächs.
Bei der Auseinandersetzung mit dem Brief treten das Verhältnis von Vater und Sohn in den Vordergrund und das Freiheitsverständnis Martin Luthers. Die Form des Streitgesprächs, nähert sich der Art Jugendlicher an, sich mit Eltern auseinanderzusetzen.
Jede Gruppe stellt ihre Gruppenarbeit und das Ergebnis methodisch so vor, wie es sich von der Aufgabenstellung her anbietet. Anschließend werden gemeinsame und unterschiedliche Aspekte des Freiheitsverständnisses zusammengefasst.
Alle Schülerinnen und Schüler erhalten die Karte zu Luthers Leben (M5a) - alternativ die Zeittafeln (Z6 und Z6a), da die Arbeit damit einigen leichter fällt, als mit Karten zu arbeiten - und einen Arbeitsbogen mit einem Auszug aus Luthers 95 Thesen vom 31. Oktober 1517 (M6). Die Textanalyse zielt auf Luthers Ablassverständnis und was er der kirchlichen Heilsverwaltung entgegensetzt. Mit dem fiktiven Brief an Luther sollen sich alle Schülerinnen und Schüler der Frage nach Luthers Freiheitsverständnis konzentriert stellen sowie zugleich mit den Fragen an Luther das eigene Freiheitsverständnis erneut reflektieren. An dieser Stelle könnten aus dem Zusatzmaterial die Zwölf Artikel der Bauern [Z1] eingefügt werden. Sie machen deutlich, dass geistliche und soziale Forderungen für die Bauern zusammengehören. Auszüge aus Luthers „Ermahnung zum Frieden auf die zwölf Artikel der Bauernschaft“ [Z2] würden zusätzlich verdeutlichen, wo es zwischen Luther und den Bauern Übereinstimmungen gibt und worin der Dissens zwischen ihnen besteht (vgl. auch Baustein „Die Anderen“).
Die Rede Gustav Heinemanns (M7), die Luthers und die Position Karls V. vor dem Reichstag in Worms bietet, macht deutlich, worum es beiden ging. Heinemanns Schlussfolgerungen fordern zur Reflexion über aktuelle Positionen und ihre Konsequenzen heraus. Die dritte Aufgabe aus dem Bereich des kreativen Schreibens ermöglicht den Schülerinnen und Schülern, eine Stellungnahme von persönlicher Relevanz. Was ist mir so wichtig, dass ich es nicht widerrufen möchte (mehr zur Methode vgl. Baustein „Frieden“).
Der aktuelle Fall des desertierten Soldaten Shepherd (M8) nimmt die Situation eines Menschen auf, der sich nach einer Gewissensentscheidung vor staatlicher Macht rechtfertigen muss.
In der Klausur wird abgeprüft, was vom ‚alten‘ und ‚neuen‘ Glauben und dem Kampf darum verstanden ist. Mit der dritten Aufgabe soll das Verfahren gegen den Prediger in einer aktuellen Situation reflektiert werden: „Ich stehe hier 2017 und will mich verantworten….“
Lernziel- oder Kompetenzorientierung
Die Schülerinnen und Schüler können:
•die Zeit von 1500-1530 als Zeit zwischen Bewahrung und Umbruch erkennen und die weit verbreitete existentielle Unsicherheit und politische Verunsicherung erfassen;
•die Entwicklungsschritte und Stationen der Reformation charakterisieren;
•die Bedeutung von Freiheit und Gewissen formulieren;
•den Protest Luthers und seiner Anhänger als Folge einer neuen Christus- und Gotteserfahrung (Identitätskrise) wahrnehmen und die neue Sinn- und Identitätserfahrung beschreiben.
Methodisch lernen die Schülerinnen und Schüler:
•einen persönlichen Zugang mit Methoden des kreativen Schreibens und des dialogischen Vergegenwärtigens (Entwicklung von fiktiven Gesprächen; fiktive Zeitzeugenbefragung; „auf Literatur antworten“) zu Themen der Reformationsgeschichte (Freiheit, Gewissen, Identitätsfindung) herzustellen;
•Methoden der Visualisierung zur Veranschaulichung und Verdichtung angemessen zu verwenden, um auch medial eine Annäherung an die Zeit herzustellen (Holzschnitte – u.a. Bildergeschichten/Comics);
•Methoden des Darstellende Spiels (Rollenspiele, Erstellung von Szenen) zur Annäherung und Aktualisierung einzusetzen
•Texte und Bilder zu analysieren und zu interpretieren und zueinander in Bezug zu setzen
Gegenwartsbezogene Relevanz des Themas
Angestoßen durch die Thesen des Mönchs und Theologie-Professors Martin Luther zum Ablasshandel brach im Jahr 1517 die Frage nach der persönlichen, religiösen Freiheit (bzw. Unfreiheit) und Gewissheit (Identität) mit großer Vehemenz auf; zugleich entwickelte sich in kurzer Zeit eine Volksbewegung, in der sich die neue religiöse Freiheitserfahrung mit der Sehnsucht (dem Begehren) nach einer grundlegenden Veränderung der überkommenen Lebensbedingungen und Herrschaftsverhältnisse verband.
Unter Berufung auf das Evangelium wurden nicht nur der Herrschaftsanspruch der Papstkirche (das damalige religiöse Herrschaftssystem) in Frage gestellt, sondern auch soziale, ökonomische und politische Forderungen von großer Sprengkraft erhoben. Daraus entwickelten sich geistige Auseinandersetzungen und gesellschaftliche Konflikte, die bis heute ihre weltweite Brisanz nicht verloren haben. Immer noch und immer wieder geht es um die Fragen nach persönlicher und politischer Freiheit, nach sozialer Gerechtigkeit, nach Armut und Reichtum, nach legitimer und illegitimer Herrschaft, nach Unterdrückung, Gehorsam und Widerstand, nach Gewalt und Gewaltverzicht, nach Krieg und Frieden u.v.a.m. Deshalb vermag eine exemplarische Beschäftigung mit zentralen Ereignissen und Konflikten der Reformationszeit unsere Wahrnehmungsfähigkeit für heutige Auseinandersetzungen und Konflikte, für deren Gründe und Abgründe zu erweitern und unseren Blick dafür schärfen, wo in unserer Zeit Freiheit und Menschenwürde, Gerechtigkeit und Friede auf dem Spiel stehen. – Das gilt nicht zuletzt auch für die Begegnung oder auch Konfrontation mit damaligen und heutigen Lebensgeschichten: sie machen „unvergesslich, was die Geschichte so gern vergisst: Die Reibung, die der einzelne zu ertragen hat, indem er Geschichte macht und sie erlebt.“(Heinrich Böll)
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Link-Referenzen:
[1] https://www.impuls-reformation.de/rr/modul_3-2_materialien.asp