3.4 Frauen in der Reformationszeit
Die Reformation und auch die Auflösung zahlreicher Frauenklöster veränderte die Stellung von Frauen in Kirche und Gesellschaft. Neu war zum Beispiel, dass eine Nonne einen Mönch heiraten konnte (z.B. Katharina Luther in Wittenberg), und dass sich Frauen als Pfarrfrau um Gemeinde, Haus und Hof kümmerten (z.B. Katharina Zell in Straßburg). Auch unterstützten gebildete und adlige Frauen die Reformation (z.B. Argula von Grumbach). So entwickelten sich langsam auch neue Rollenmodelle für Frauen.
Inhaltliche Einführung
Kirchengeschichte ist keine Geschichte von Männern, auch wenn das oft den Anschein hat. Die religiöse, gesellschaftliche, und manchmal auch politische Rolle, die Frauen an den Wendepunkten der Geschichte gespielt haben, ist aber leider in der Vergangenheit nur wenig beachtet worden. Das hat vielfältige Gründe: Oft gab es nur wenig Quellen zum Wirken von Frauen in der Kirchengeschichte, diese mussten erst mühsam aufgefunden werden. Die Geschichtswissenschaft und die Kirchengeschichte haben erst in den letzten 30 Jahren zunehmend mehr das Wirken von Frauen in der Geschichte untersucht. Dieses neue Interesse an den Frauen in der Geschichte hing natürlich mit der Frauenbewegung des 20. Jahrhunderts zusammen, die dazu geführt hat, dass Frauen immer gleichberechtigter wurden. So sind auch heute Frauen in der evangelischen Kirche sehr viel sichtbarerer sind als noch vor 50 Jahren – Pfarrerinnen beispielsweise sind heute in der evangelischen Kirche selbstverständlich.
Die Vorbereitung des Reformationsjubiläums 2017 unterscheidet sich von den vielen anderen Reformationsfeiern in den Jahrhunderten zuvor eben auch dadurch, dass dieses Mal die evangelischen Frauen aktiv und sichtbar planen und mitgestalten. Ein Beispiel sind die seit mehreren Jahren in vielen Gemeinden und Kirchenkreisen mit großem Erfolg veranstalteten „Frauenmahle“. Hier kommen Frauen aus allen Schichten und Berufen zusammen, um gemeinsam zu reden und essen – so, wie es früher bei Luthers Tischreden geschah. Heute sind es aber die Frauen, die die Tischreden halten. Daneben gab es in den vergangenen Jahren verschiedene neue regionale Ausstellungen zu „Frauen in der Reformation“. Eine Ausstellung, die viel Beachtung fand, war „Eine starke Frauengeschichte – 500 Jahre Reformation auf dem Schloss Rochlitz“. Daneben gibt es aber auch „History-Events“ wie der einmal im Jahr begangene „Katharina-Tag“ in der Katharina von Bora-Stadt Torgau, die zeigen, dass die evangelische Kirche heute sichtbar und vielfältig von Frauen geprägt ist.
Die Anfänge dieser Veränderungen für Frauen beginnen aber schon im 16. Jahrhundert. Für die Frauen der Reformationszeit brachte die Wiederentdeckung des „Priestertums aller Gläubigen“, die entscheidende Wende. Dieser Grundsatz bedeutete, dass nicht nur Männer, und nicht nur Theologen, zur Verkündigung des Evangeliums gesandt sind. Dieses Recht stand auch Frauen zu. Da nach reformatorischer Überzeugung die Bibel als einzigen Maßstab des theologischen Urteils galt, konnten Frauen gleichrangig mit den Männern um die richtige Auslegung der Schrift ringen. Da die Bibel nicht eindeutig den Zölibat für Priester vorschreibt, gab es viele männliche Reformatoren, die heirateten. Auch formulierten sie in ihren Schriften die Ehe als Beziehung zwischen Mann und Frau auf Augenhöhe. Ob sie das im Alltag allerdings wirklich so lebten, lässt sich aus der heutigen Perspektive nur schlecht beurteilen.
Eindeutig finden sich aber in der Reformationszeit zunehmend mehr Spuren von Frauen aus allen sozialen Schichten und Ständen! Die später klassisch gewordene Pfarrfrau, wie Luthers Frau Katharina von Bora oder Katharina Zell gehörten ebenso dazu wie die Adlige oder Regentin, die in ihrem Herrschaftsgebiet für die Einführung der Reformation kämpfte, wie etwa Elisabeth zu Braunschweig-Lüneburg, Fürstin zu Calenberg-Göttingen (1510-1558). Berühmt wurde die bayrische Adelige Argula von Grumbach, die sich als intellektuelle Streiterin als erste mit Flugschriften für die Sache der Reformation einsetzte. Aktuell ist 2015/16 auch Elisabeth von Sachsen (bzw. von Rochlitz; 1502-1557) von der Forschung neu entdeckt worden, nachdem sie lange als eine von den Nationalsozialisten vereinnahmte „deutsche Frau der Reformationszeit“ galt. Elisabeth von Sachsen war ab 1538 die einzige Frau im Schmalkaldischen Bund, dem von den evangelischen Reichsfürsten geschlossenen Pakt gegen katholischen Kaiser Karl V.
Obwohl es mittlerweile sehr viel mehr Informationen über Frauen in der Reformationszeit gibt, ist es in Fachkreisen strittig, wie man all diese Veränderungen deuten soll. War die evangelische Rollenerweiterung wirklich ein Schritt in die moderne Geschichte der Frauenbewegung und Frauenemanzipation? Oder beruhte die Möglichkeit, statt Nonne nun Pfarrfrau zu werden, nicht doch eher auf einem traditionellen Frauenbild und leistete einem auf Güte, Frömmigkeit und gelebter Nächstenliebe beruhenden weiblichen Stereotyp Vorschub? An drei Beispielen wollen wir diesen Fragen nachgehen:
Katharina von Bora
Über Katharina von Bora ist, im Vergleich zu anderen Frauen der Reformationszeit, schon seit langem sehr viel bekannt. Als Ehefrau Martin Luthers nannte man sie „die Lutherin“ oder wegen ihrer Durchsetzungsfähigkeit wurde sie von ihrem Mann auch als „Herr Käthe“ bezeichnet.
Sie wurde am 29. Januar 1499 als Tochter einer verarmten Landadelsfamilie in der Nähe von Leipzig geboren. Sie musste sie wegen des frühen Todes ihrer Mutter schon früh in die Klosterschule und dann in das Zisterzienserinnenkloster Marienthron bei Grimma. Acht Jahre nach ihrem Nonnengelübde, in der Nacht von Karsamstag zu Ostersonntag (6./7. April 1523) floh sie mit elf weiteren Nonnen aus dem Kloster nach Wittenberg. Dort heiratete sie am 13. Juni 1525 Martin Luther. Das Paar wohnte im Augustinerkloster, und Katharina, die wohl bereits im Kloster mit den reformatorischen Gedanken in Kontakt gekommen war, nahm sich des Großbetriebes eines Pfarrhauses an. Sie kümmerte sich Haus, Hof, Knechte und Mägde, um die Ernährung, den Obstbau, die Viehzucht und die Verköstigung der Familie und der Kinder sowie der immer zahlreiche vorhandenen Gäste im Hause Luther. Sie braute sogar eigenes Bier, das „Lutherbier“, das es heute auch noch gibt.
Nach Luthers Tod 1546 ging es Katharina jedoch nicht gut. Ihr Erbe war durch die Pest und den Schmalkaldischen Krieg verwüstet, sie musste Schulden machen und das Lutherhaus verkaufen. Als sie 1552 vor der Pest in Wittenberg nach Torgau floh, kam es zu einem Wagenunfall, an dessen Folgen sie am 10. Dezember 1552 starb. Ihr Grab ist noch heute dort in der St. Marienkirche zu sehen.
Argula von Grumbach
Einen anderen Typus von Frau aus der Reformationszeit verkörperte dagegen die bayrische Adelige Argula von Grumbach (1492-1568). Sie kam mitten in die Diskussionen um die Erneuerungen von Kirche und Theologie hinein, las alle Schriften von Martin Luther und setzte sich intensiv mit den neuen reformatorischen Gedanken auseinander. Als die Universität Ingolstadt einem jungen Universitätsabsolventen namens Arsacius Seehofer ketzerische Gedanken vorwarf und ihn ins Kloster verbannte, ergriff sie Partei für ihn. Seehofer war ein Anhänger Luthers und hatte unter den Studenten der Universität für die reformatorische Sache geworben. Argula von Grumbach, die in der Nähe von Ingolstadt wohnte, formulierte in einem Brief an den Rektor und die Universität ihre aus der Bibel begründete Kritik an dieser Entscheidung. In ihrem öffentlichen Brief, einer sogenannten Flugschrift, forderte sie die Universität auf, sich öffentlich und in Gegenwart der drei herrschenden Fürsten mit ihr theologisch auf der Grundlage der Bibel und auf Deutsch über diese Entscheidung auseinanderzusetzen. Nach diesem Brief schrieb sie im Herbst 1523 einen weiteren Brief an den Herzog von Bayern, in dem sie ihn über diesen Vorfall an der Universität Ingolstadt informierte. Beide Briefe wurden veröffentlicht und machten Argula von Grumbach zur ersten weiblichen Publizistin von Flugschriften in der Reformationszeit. Ihr erster Brief wurde bis 1524 15-mal nachgedruckt. Eine Antwort bekam sie nicht. Danach verfasste sie in den Jahren 1523/24 acht weitere reformatorische Flugschriften, die sich mit einer Auflage von ungefähr 30.000 Exemplaren in ganz Deutschland verbreiteten. Auch mit Luther korrespondierte Argula von Grumbach. Ihre Briefe an Luther sind nicht erhalten. Argula von Grumbachs Einsatz für die Reformation und ihr Mut zur öffentlichen Stellungnahme hatte jedoch ihren Preis: Ihr Mann verlor seine gut bezahlte Stellung und blieb bei seinem „alten (katholischen) Glauben“, in der Verwandtschaft grenzte man sie aus. Ihre Familie und ihre vier Kinder gerieten in finanzielle Not. Trotzdem sprach sie sich weiterhin unerschrocken dafür aus, dass Frauen und Männer das Evangelium verkündigen sollten, und dass sie ohne Verbot, allein auf Grundlage der Bibel, auf Missstände aufmerksam machen dürften. Es ist überliefert, dass Martin Luther sie als ein „besonderes Werkzeug“ Christi würdigte, und sie 1530 in Coburg traf. Zur Seite stand er ihr jedoch in allen ihren Anfeindungen, die sie erleben musste, nach allem, was bekannt ist, nicht. Dabei musste sie privat einige Schicksalsschläge hinnehmen: sie musste drei ihrer Kinder zu Grab tragen. Ihr erster Mann verstarb jung und ihr zweiter Mann bereits nach einem Jahr. Heute kommt Argula von Grumbach eine wichtige Bedeutung zu. In der Ev. Luth. Kirche von Bayern gibt es die Argula von Grumbach-Stiftung, die die Auseinandersetzung mit Geschlechter-fragen in Kirche und Gesellschaft unterstützt.
(http://www.bayern-evangelisch.de/downloads/ELKB-Argula-von-Grumbach-Stiftung)
Katharina Zell
Katharina Zell bzw. Katharina Schütz (1497-1562) verkörperte ebenfalls einen neuen Frauentypus der Reformation, die 1523 den reformatorischen Prediger Matthäus Zell (1477–1528) in Straßburg geheiratet hatte. An ihrem Lebensweg wird besonders deutlich, wie sich das neue Eheverständnis der Reformatoren im gelebten Alltag auswirkte: Denn nach Luther und seinen Anhängern war ja jeder vor Gott gleich – also auch die Frauen. Das brachte ein stärker partnerschaftliches Verständnis von Ehe mit sich. So veränderte sich nicht nur die Rolle der Ehefrau in der gemeinsamen Ehe, sondern auch das Image, das eine verheiratete Frau mit einem Reformator hatte. Sie wurde als „Pfarrfrau“, die das große Pfarrhaus und das Gemeindeleben organisierte, hoch geachtet und genoss hohes öffentliches Ansehen. Katharina Schütz hatte sich als streitlustige Kämpferin an die Seite ihres, wegen seiner Hochzeit exkommunizierten, Mannes gestellt. Dann öffnete sie das gemeinsame Pfarrhaus für evangelische Glaubensflüchtlinge, die nach Straßburg kamen, versorgte und kümmerte sich um sie. Sie nahm sich hilfsbedürftiger und kranker Menschen an. Nachdem ihre beiden Kinder früh gestorben waren, unterstützte sie ihren Mann bei seinen Reisen, mischte sich in die theologischen Auseinandersetzungen der Zeit ein und las, wo immer sie konnte, um fachkundig mitdiskutieren zu können. Nachdem sie Luther, Melanchthon, Zwingli und andere Reformatoren gelesen hatte, wurde sie selbst zu einer produktiven Schreiberin. Neben sechs Büchern schrieb sie drei Flugschriften, Psalmen- und Bibelauslegungen, Briefe und gab zwischen 1534 und 1536 ein Gesang- und Gebetsbuch mit Liedern der Böhmischen Brüder heraus.
Die Katharina-Zell-Stiftung der Ev. Frauen in Hessen und Nassau hält zum Beispiel die Erinnerung an diese mutige und selbstbewusste Pfarrfrau und Reformatorin wach, indem sie Projekte unterstützt, die Lebens-, Bildungs- und Berufschancen von Menschen verbessern, wie es Katharina Zell in ihrer Zeit in umfassender Weise getan hat.
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