Theologisch-Pädagogisches Institut (TPI) in Moritzburg

Materialien zur Reformation [www.tpi-moritzburg.de/reformation/]




Die Anderen: (I) Einführung


4 Die Anderen



Trotz gemeinsamer Ideen der Reformatoren bildeten sich doch sehr unterschiedliche reformatorische Bewegungen heraus, die in vielen konkreten Einzelfragen sehr kontroverse Ansichten hatten. Dabei spielten die politischen Gegebenheiten der Wirkungsorte der verschiedenen Reformatoren eine erhebliche Rolle. Den Ideen der Reformatoren im Spannungsfeld zwischen Theologie und Politik in Ansätzen auf die Spur zu kommen, ist Aufgabe dieses Themenblocks. Der Fokus liegt hier auf zentralen exemplarischen Einzelfragen, in denen die verschiedenen Reformatoren zu unterschiedlichen Positionen gelangt sind.

Inhaltliche Einführung



Die Reformation müssen wir als einen vielgestaltigen Prozess begreifen, der mit dem Ablassstreit und der Kritik an Missständen im Klerus begonnen hat, von dort aber schnell zu einem Konflikt um die Rolle der Heiligen Schrift und ihrem Verhältnis zur kirchlichen Tradition und damit die Autorität ihrer Vertreter (Papst und Bischöfe) wurde, ehe sich dann auch innerreformatorische Kontroversen über die konkrete Gestalt evangelischer Glaubenslehre und -praxis entwickelten, welche zur Vielfalt evangelischer Kirchen führte, die wir bei einem genaueren Blick auch heute noch wahrnehmen können.

Es gibt zahlreiche Konfliktfelder zwischen römisch-katholischen und reformatorischen Theologen. Dies betrifft etwa die Frage, was im Abendmahl (evangelischer Begriff) bzw. in der Eucharistie (katholischer Begriff) genau geschehe, also wie gemäß christlichem Glauben Jesus Christus in den Gestalten von Brot und Wein anwesend sei. Auch in Fragen des Amtsverständnisses, der Rechtfertigung, der Verehrung von Heiligen gab es Gegensätze. Dabei hatte die katholische Kirche den Vorteil, dass sie auf ein im Laufe ihrer Geschichte immer differenzierter ausgebautes Lehrgebäude zurückgreifen konnte. Nicht zuletzt die Scholastik, also die akademische Theologie des Mittelalters, hatte dafür gesorgt, dass zahlreiche Fragen der Glaubenslehre und der Glaubenspraxis ausführlich erörtert worden waren. Martin Luther hatte nun damit, dass allein die Heilige Schrift Grundlage des christlichen Glaubens sein dürfe, die Verbindlichkeit dieser katholischen Tradition in Frage gestellt. Damit hatte sich die evangelische Theologie damit selbst vor die Aufgabe gestellt, einen Gegenentwurf auszuarbeiten: Was war die Glaubenslehre der Reformatoren und ihrer Anhänger? Was würde man also als evangelische Theologie bezeichnen können?

Im Streit Martin Luthers mit der römischen Kirchenleitung und ihrer Diener hat sich Luthers Theologie immer mehr profiliert. Gerade in der Auseinandersetzung in einzelnen konkreten Streitfragen (Ablasshandel, Lehrautorität des Papstes) hat Luther eine nach außen immer klarer abgegrenzte und nach innen immer weiter ausdifferenzierte Theologie entwickelt. Die evangelische Glaubenslehre ist also (wie vormals ja auch die katholische) mit der Zeit gewachsen und hat dabei entscheidende Impulse aus der Abgrenzung von der römischen Kirche gewonnen; die theologischen Positionen sind also zunächst Gegen-Positionen, bevor daraus ein strukturierter Gesamtentwurf werden konnte.

Der Blick auf die Wirklichkeit ist so vielgestaltig wie die Menschen, die die Wirklichkeit erblicken. So gab es auch innerhalb dieses Prozesses der Profilbildung reformatorischer Theologie, wie es nicht anders sein kann, durchaus unterschiedliche Vorstellungen, wie evangelische Theologie sein sollte. Als prinzipiell Gemeinsamkeit findet sich bei allen beteiligten Reformatoren der für das Entstehen der evangelischen Theologie notwendigen Gedanke: Das, was Christen glauben sollen, kommt nicht von den Oberhäuptern der Kirche, sondern einzig von der Bibel als dem „Wort Gottes“ (Sola-scriptura-Prinzip).
Auf dieser gemeinsamen Idee der Reformatoren bildeten sich aber nun doch sehr unterschiedliche reformatorische Bewegungen heraus, die in vielen konkreten Einzelfragen sehr kontroverse Ansichten hatten. Dabei spielten die politischen Gegebenheiten der Wirkungsorte der verschiedenen Reformatoren eine erhebliche Rolle. Den Ideen der Reformatoren im Spannungsfeld zwischen Theologie und Politik in Ansätzen auf die Spur zu kommen, ist Aufgabe dieses Themenblocks. Der Fokus liegt hier auf zentralen exemplarischen Einzelfragen, in denen die verschiedenen Reformatoren zu unterschiedlichen Positionen gelangt sind.

Huldrych (Ulrich) Zwingli (1484-1531)



Im Süden des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation breitete sich von Zürich aus die „reformierte Bewegung“ unter der Führung des Reformators Zwingli aus. Er betonte die sittliche Botschaft des Evangeliums, die sich in praktischen Reformen konkretisiere. Die Heilige Schrift sei unmittelbar zu verstehen, wenn der Geist Gottes im Hörer wirke. Das Evangelium befreit von allen Zusätzen kirchlicher Tradition stellte die Grundlage für Zwinglis Predigt dar. Die Sakramente seien bloß äußere Zeichen der Kirchenzugehörigkeit, nicht aber heilsvermittelnde Riten. Die Gegenwart Christi im Abendmahl sei rein geistig, nicht aber real wie es die katholische Kirche und Luther glaubten. Über den letztgenannten Punkt kam es schließlich 1530 zum Bruch zwischen Zwingli und Luther. Der Zürcher Stadtrat schuf Zwingli für seine Reformen eine nur dem Stadtbischof und damit Rom nicht mehr unterworfene Pfarrstelle. Strenge Regeln wurden für das Gemeindeleben aufgestellt, die sich an der Botschaft des Neuen Testaments orientieren sollten. Kruzifixe, Heiligenbilder und Altäre wurden auf dieser Grundlage aus den Kirchen entfernt.

Schweiz



Die Kantone Bern, Basel und Sankt Gallen folgten 1528/29 dem Vorbild der Reformation in Zürich. Die Spannungen zwischen den evangelischen und den fünf katholischen Kantone steigerten sich in dieser Zeit immer mehr: der zweite Kappeler Krieg (1529-1531). In diesem Krieg starb Zwingli und erlitten die Zürcher bei Kappel eine vernichtende Niederlage. Im Osten der Schweiz blieb der Katholizismus dadurch stark. Nachfolger von Zwingli in Zürich wurde Heinrich Bullinger. Er schrieb 1562 die Confessio Helvetica, nach dem Heidelberger Katechismus die wichtigste reformierte Bekenntnisschrift.
Ab 1536 entwickelte sich Genf zum neuen Zentrum der Reformation. Guillaume Farel (Vgl. Frankreich) hatte öfters in der Stadt gepredigt und in dem Jahr schloss sich der Generalrat der Stadt der Reformation an. Der katholische Bischof wurde verjagt und die unabhängige Republik Genf ausgerufen. Farel gelang es zwei Monate später, Calvin zum Verbleib in Genf zu bewegen und konnte mit ihm Pläne für eine grundlegende Veränderung des religiösen Lebens der Menschen in Genf entwerfen (Kirchenordnung 1537). Als diese strenge Kirchenordnung den Genfern zu weit ging wurden Farel und Calvin 1538 aus Genf verbannt. Erst 1541, als die Anti-Calvinisten im Stadtrat die Wahlen verloren, kehrten sie wieder dorthin zurück. Nun konnte Genf sich zum internationalen Zentrum des Protestantismus entwickeln, insbesondere durch die 1559 von Calvin gegründete „Genfer Akademie“. Hier wurde evangelische Theologen für ganz Europa ausgebildet.
Unter besonders eifrigen Anhängern Zwinglis entstand die Täuferbewegung, deren biblizistisches Glaubensverständnis sich in der Frage nach einer evangeliums-gemäßen Taufe konkretisierte. Die bewusste und willentlich bejahte Erwachsenentaufe wurde bei ihnen als Bekenntnisakt zum Kriterium für die evangeliumstreue christliche Gemeinde. Die Ablehnung der Kindertaufe führte bei ihnen zur Forderung einer erneuten Taufe im Erwachsenenalter, was ihnen die Bezeichnung „Wiedertäufer“ eintrug. 1534/35 übernahmen die Täufer in Münster, in Westfalen, für kurze Zeit die Herrschaft, bis zur Rückeroberung durch den Fürstbischof Franz von Waldeck.

Menno Simons (1495-1561)



war Priester in Westfriesland (Niederlande). Er hatte in Utrecht Philosophie und Theologie, hatte aber gleichzeitig Schriften von Luther, Bucer und Erasmus gelesen Dabei rückte rückte für ihn das Studium der Heiligen Schrift immer mehr in den Vordergrund. So fingen seine Zweifel an die Kindertaufe an. Er ließ sich im Jahr 1536 als Erwachsene taufen und wurde bald darauf zum Ältesten der Täufergemeinde („Dopers“) in Amsterdam. Durch die negative Erfahrungen mit dem radikalen Täufertum in Münster entwickelte sich ein ganz andere Religiosität. Sie verweigerten den Kriegsdienst und lebten zurückgezogen eine einfache Frömmigkeit. Weil Menno als Ketzer verfolgt wurde, verbrachte er seine Jahre vor allem auf der Flucht, als Seelsorger für die verstreuten „Täufer“ in Westeuropa. Im Jahr 1572 erhielten die „Doopsgezinden“ in den Niederlanden Glaubensfreiheit und nannte sich nach ihrem Leiter bald Mennoniten. Viele wanderten im 17. Jahrhundert nach Russland und Amerika aus, wo sie als „Brethern“ und „Amish“ bekannt sind.

Jean (Johannes) Calvin (1509-1564)



Wie Luther und Zwingli fand beim französischen Reformator Calvin eine Hinwendung zur Heiligen Schrift statt, die auch er als einzige Autorität des Glaubens anerkannte. Er suchte in Genf Zuflucht vor einer Protestantenverfolgung durch den französischen König Franz I., wo er seine reformatorische Lehre in „Institutio Christianae Religionis“ systematisierte und damit schlagartig zu einem der führenden Denker der zweiten Reformationsgeneration wurde. Hier arbeitete er auch eine Kirchenordnung aus, die die Gläubigen vor allem als „Gehorchende“ des Wortes Gottes verstand. Eine strenge den Maßgaben der Bibel entsprechende Zucht sollte dafür sorgen, dass die Gemeindemitglieder den göttlichen Geboten entsprechend lebten, wie es auch Zwingli in Zürich durchgesetzt hatte. Ungehorsam wurde geahndet. Dabei übernahmen insbesondere Laien Aufgaben der Kirchenleitung und die Aufsicht über das Einhalten kirchlicher Zucht. Calvin vertrat außerdem die Idee der Prädestination, der Vorherbestimmung jedes einzelnen Menschen zum Heil (Himmel) oder zum Verderben (Hölle).
Anders als bei Luther von der landesherrlichen Obrigkeit gefördert, haben sich die Reformationsbewegungen Zwinglis und Calvins „von unten“ her durchsetzen müssen.

Frankreich



Wie in ganz Europa gab es auch in Frankreich humanistische Kreise, die sich für Reformen in der Kirche einsetzten. In Paris war dies die Gruppe um Jacques Lefèvre d´Étaples. In der Zeit als Luther die Bibel ins Deutsch übersetzte, schrieb er eine französische Übersetzung. Zu seinem Kreis gehörten auch Jean Calvin und Guillaume Farel (Vgl. Vor der Reformation und Waldenser). Weil sie in Paris verfolgt wurden, flohen sie nach Straßburg, Genf und London. Die reformatorischen Gemeinden konnten sich in Frankreich nur im Untergrund versammeln. Ein Teil der Reformierten fand Zuflucht auf den südfranzösischen Ländereien der Schwester des französischen Königs, Margarete von Navarra. Die Protestanten in Frankreich wurden mehr durch die (französische) Schriften von Calvin beeinflusst als durch Luthers Theologie. Auch für ihre Gemeindeorganisation richteten sie nach dem presbyterialen Modell von Genf. Viele französischen reformierten Pfarrer wurden in Genf ausgebildet (Vgl. Schweiz).
Die Protestanten wurden als politische Partei gegen den französischen König betrachtet, daher bekamen sie den Namen Hugenotten („eydgenot“, „Eidgenossen). Anderen meinen, dass der Name daher kommt, dass sie ihren Ideen aus der Schweiz, dem Land der „eigenots“ bezogen.
Im Jahr 1561 kamen die französischen Protestanten in einer Synode in Paris zusammen. Im Jahr 1571 einigten sie sich auf ein calvinistische Glaubensbekenntnis, die sogenannte Confessio Gallicana. Der religiös-politische Streit führte ab 1562 zu mehrere Hugenottenkriegen. Tiefpunkt war der 24. August 1572, die sogenannte „Bartholomäusnacht“, in der auf einem Schlag die gesamte Führungsschicht der Protestanten ermordet wurde. Sie hielten sich in Paris auf, um der Hochzeit zwischen dem (Hugenoten) König Henri IV mit der (Katholikin) Margarete von Valois beizuwohnen. Während der Feierlichkeiten wurden sie überfallen. Darum heißt dieses Massaker auch „Bluthochzeit“.
Die Hugenottenkriege endeten im Jahr 1598 mit dem Edikt von Nantes. Mit diesem Vertrag bekamen die calvinistischen Protestanten alle Bürgerrechte (Gewissensfreiheit usw.) aber der Katholizismus wurde zur Staatsreligion. Im Jahr 1685 widerrief König Ludwig XIV. das Edikt von Nantes und die Hugenotten verloren alle religiösen und bürgerlichen Rechte. Hunderttausende flohen nach protestantischen Ländern in Europa: die Niederlande, Schweiz und Preußen. Es dauerte tatsächlich bis 1802 bis die Protestanten in Frankreich nicht mehr verfolgt wurden.

Niederlande



Seit dem Ende des 15. Jahrhunderts gehörten die Niederlande zum Haus Habsburg unter Kaiser Karl V.. Die „17 Provinzen“ bildeten ein viel größeres Gebiet als heute, das fast bis Calais reichte und auch Luxemburg umfasste. Diese Gebiete waren sehr reich, insbesondere der Hafenstadt Antwerpen. Die geistige Atmosphäre zeigte sich empfänglich für humanistische und reformatorische Gedanken. Karl V. setzte aber alles daran, um dieses Gebiet unter seinem (katholischen) Einfluss zu behalten.
In Antwerpen predigte Jakob Probst schon 1519 evangelisches Gedankengut. Er war Prior des Augustinerklosters in Antwerpen und hatte in Wittenberg bei Luther studiert. Als er 1522 wieder kurz in Wittenberg war, wurde sein Kloster verwüstet. Als er zurückkehrte wurde er selbst verhaftet. Es gelang ihm aber zu fliehen. Er wirkte danach als Pfarrer in Bremen. Anderen Ordensbrüdern (Jan van Essen, Hendrik Vos, Lambert Thorn) gelang im Jahr 1523 die Flucht aus ihrem Augustinerkloster in Brüssel nicht. Sie wurden von der Inquisition verurteilt und als Ketzer verbrannt.
Auch aus Frankreich drangen reformierte Gedanken in die Niederlanden. Es entstanden Gemeinden im Untergrund, die sich sonntags in Wäldern und auf dem Felde sammelten um die „Hagepreken“ (Heckenpredigten) der evangelischen Prediger zu hören. Die staatliche Unterdrückung nahm immer mehr zu. 1550 reagierte Karl V. mit einem Edikt: schon der Verdacht auf Ketzerei reichte aus, um ausöffentlichen Ämtern entfernt zu werden. Nachdem Karl V. 1556 abdankte. regierte sein Sohn Philipp II. mit noch größerer Härte. In keinem Land Europas wurden zwischen 1520 und 1566 so viele Andersgläubige auf dem Scheiterhaufen getötet wie in den Niederlanden.
Im Jahr 1559 schrieb der, in Mons geborene, Guido de Brès eine Bekenntnisschrift, um Philipp II. von der reformierten Lehre zu überzeugen. Er hatte in London, Frankfurt und Genf studiert und versuchte unterschiedliche reformatorische Strömungen miteinander zu versöhnen. De Brès wurde auf Befehl Philipps II. verhaftet und ermordet, aber seine „Confessio Belgica“ wurde die erste niederländische Bekenntnisschrift. Der Widerstand gegen dem spanischen Regimes unter Philipp II. führte 1566 zu einem Protest der reformierten Adligen und Patrizier unter der Führung von Wilhelm von Oranien aus Dillenburg Hessen. Philipp II. entsandte daraufhin den Herzog von Alba als Statthalter, um die Aufstände niederzuschlagen.
Dies entfachte einen Unabhängigkeitskrieg, der den Charakter eines religiös-politischen Konfliktes zwischen dem reformierten Norden und den katholische Spanien auswuchs. Die sieben nördlichen niederländischen Provinzen vertrieben die Spanier und vereinigten sich 1579 in der „Union von Utrecht“. Sie wurden eine „Republik“ unter der Führung von „Willem van Oranje“.
Die Confessio Belgica und die Heidelberger Katechismus bildeten die Basis der niederländischen reformierten Kirche.

England



Schon im 14. Jahrhundert gab es in England Theologen, die die Bibel stärker ins Zentrum des kirchlichen Lebens rücken wollten. Zum Beispiel John Wyclif (mit Jan Hus), in Schottland John Knox und in Mittelengland William Tyndale. Tyndale war Autor der englischsprachigen „Tyndale-Bible“, die er in Wittenberg bei Luther zu Ende schrieb. Tyndale wurde 1536 bei Brüssel in den Niederlanden als Ketzer verbrannt. Aus der Tyndale-Bibel entstand 1611 die offizielle King-James-Bibel.
Es fehlte aber in England an einer politischen Instanz, die die reformatorischen Ideen förderte. Dies änderte sich ab 1529 als König Henry VIII. vom folgsamen Katholik (noch 1521 schrieb er eine Streitschrift gegen Luther) zum Gegner von Rom wurde. Dies hing mit seiner Ehe mit Katharina von Aragón zusammen. Als sie ihm keinen Sohn gebären konnte, wollte er sich von ihr trennen. Der Papst stimmte der Scheidung nicht zu. Heinrich VIII. setzte darauf in Canterbury einen neuen Erzbischof, Thomas Cranmer, ein, der die Scheidung erlaubte und seine neue Ehe mit Anna Boleyn legitimierte. 1534 nahm das Parlament ein Gesetz an (Suprematsakte), mit dem Heinrich VIII. zum Oberhaupt der Kirche von England ernannt wurde. Die Kirche wurde zur Staatskirche, Klöster wurden aufgehoben, Kulturgüter zerstört, aber die Liturgie und das Abendmahlsverständnis der neuen „anglikanischen Kirche“ blieben zunächst katholisch. Die anglikanische „Church of England“ ist stark von lutherischen Impulsen geprägt, profilierte sich aber dann in der Auseinandersetzung mit der reformierten Position Calvins. Dabei steht sie in Fragen der Liturgie, des Amtsverständnisses, der Sakramentenlehre und auch des politischen Selbstverständnisses der römisch-katholischen Kirche viel näher als die anderen Kirchen der Reformation. Besonderes Kennzeichen der anglikanischen Kirche ist die symbiotische Verbindung von kirchlicher und weltlicher Autorität besonders in der Figur des englischen Monarchen.
Vor allem Cranmers Gedankengut, das auch von Bucer von Calvin beeinflusst war, prägte die Kirche, wie z. B. sein Gottesdienstbuch („Book of Common Prayer“).
Die Bindung der Kirche an den König erwies sich bald als Problem. 1553 starb Edward VI, der einzige legitime Sohn von Heinrich VIII.. Seine Tochter Mary Tudor war katholisch orientiert und versuchte als Königin Mary I. mit aller Gewalt England wieder zurück zu Rom zu führen. So ließ sie („bloody Mary“) ca. 300 Protestanten hinrichten, u.a. Thomas Cranmer. 800 Protestanten verließen darauf England. Unter Heinrichs zweite Tochter, Elisabeth I., die ab 1558 regierte, wurde die „Church of England“ wieder reformatorisch. Das „Book of Common Prayer“ wurde wieder eingeführt und sollte bis 1980 die Liturgie bestimmen.
Gerade der Calvinismus neigte entgegen Calvins Warnung oftmals zum bewaffneten Widerstand gegen die katholische Kirchenleitung. In Frankreich konnten sich die Calvinisten, die hier Hugenotten genannten wurde, als eine reformierte Nationalkirche etablieren, ehe sie bis zum Edikt von Nantes 1598 Opfer blutiger Verfolgungen wurden. Viele fanden Zuflucht in Brandenburg-Preußen. In England breitete sich die calvinistische Theologie im Puritanismus aus, der von dort in die Niederlande und weiter nach Nordamerika gelangte.

Thomas Müntzer (1490-1525)



Müntzer sah, verhaftet in der Tradition apokalyptischer Bewegungen des Spätmittelalters, in der Reformation einen Weg zum Umsturz der bisherigen Verhältnisse im Sinne einer Sozialrevolution (Vgl. Baustein „Die Zeit“; „Frieden und Freiheit“). So unterstützte er die Bauernaufstände als Katalysator der Durchsetzung des „Reiches Gottes“. Luther, der nicht riskieren konnte, die Unterstützung der protestantischen Landesfürsten zu verlieren, verurteilte nach anfänglichen Vermittlungsversuchen die Bauernaufstände scharf und warf Müntzer vor, er mache aus der Botschaft des Evangeliums eine rein innerweltliche Größe.


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