6.1 Reformation Heute
Didaktische Hinweise
„Reformation heute“ ist in Lehrplänen für Religion verortet und nur ansatzweise in Geschichte. Für beide Fachbereiche sind jedoch die Aufarbeitung der Erinnerungskultur und die Recherche regionaler Prägung und konfessioneller Besonderheiten möglich.
Kompetenzen im Bereich „Reformation Heute“
Lernende können …
(1)
… beschreiben, in welcher Form nach 500 Jahren noch der Refor-mation gedacht wird ;
… Formen der Erinnerungskultur (beispielsweise Reformationstag; Denkmäler, Lutherfiguren, Bilder und Filme; Namen von Kirchen, Straßen und Orten, die mit der Reformation verbunden sind) deuten;
… die Rolle der Reformation und die Bedeutung Luthers heute einschätzen.
(2)
… christliche Konfessionen unterscheiden und konfessionelle Grundbegriffe deuten;
… über konfessionelle Besonderheiten in der Region recherchieren und Auskunft geben (gehört auch zu Punkt a – daher ist hier der Impuls zu finden);
… aktuell offene Fragen und Visionen des ökumenischen Miteinanders analysieren und diskutieren (Metzger: Brennpunkt Ökumene; Briefwechsel Bedford-Strohm/Marx).
(3)
… Lebensfragen und Schlüsselbegriffe der Reformation, beispiels-weise den Umgang mit der Angst, vor dem Hintergrund der refor-matorischen Entdeckungen reflektieren (andere mögliche Schlüs-selbegriffe: Gott- und Menschbild; Schuld und Vergebung; Freiheit; Erneuerung und Protest; Orientierung).
Kompetenzen für den Religionsunterricht
•Den eigenen Glauben wahrnehmen und zum Ausdruck bringen;
•Individuelle und kirchliche Formen der Praxis von Religion kennen und daran teilhaben können;
•Über das evangelische (und katholische) Verständnis des Christentums Auskunft geben;
•Religiöse Motive und Elemente in der Kultur identifizieren, kritisch reflektieren sowie ihre Herkunft und Bedeutung erklären.
Es geht dabei also um die reflektierte Wahrnehmung des Lebensumfeldes (Kirchliches Leben, Gesellschaft, Jahreskreis, Erinnerungsorte etc.) sowie um die Auseinandersetzung mit der Frage, zu welcher Konfession man selbst gehört und was dies bedeutet.
Gegenwartsbezogene Relevanz des Themas
Der Gegenwartsbezug ist das eigentliche Thema des Teilkapitels „Reformation Heute“. Bereits oben beschrieben wurden die Erinnerungs-kultur, die konfessionelle Situation im Land und der Bezug zu aktuellen Lebensfragen wie der Umgang mit Ängsten.
Möglichkeiten des pädagogischen Einsatzes
Die inhaltlichen Schwerpunkte von „Reformation heute“ bieten unterschiedliche Möglichkeiten von Zugängen, die die Perspektive des Geschichts- und Religionsunterrichts im Blick haben.
Der erste Schwerpunkt
„Erinnerungskultur zur Reformation heute“ (M 1.1 – M 1.4) betrifft gleichermaßen den Geschichts- wie Religionsunterricht. Es gibt vielfältige Zeugnisse der Reformationsgeschichte im Umfeld der Schülerinnen und Schüler, die es zu entdecken gilt.
Die Rechercheaufgabe (M 1.1) kann im Vorfeld oder im Zeitraum der Einheit umgesetzt werden. Ein gruppenteiliges Arbeiten ist dabei möglich, bei dem, je nach örtlicher Gegebenheit, die Spurensuche „Orte der Erinnerung“, „Denkmäler“ und „Kalender: Reformationstag“ erfolgen kann.
An die Reformation und an Martin Luther wird heute in unterschiedlicher Form erinnert. Vielfach tauchen derzeit Plastik-Reproduktionen des Reformators auf, ob die vom Künstler Ottmar Hörl gestalteten „Lutherbotschafter bzw. Lutherzwerge“ oder die Playmobil-Figur, deren erste Produktion innerhalb von 72 Stunden ausverkauft war. Der Baustein „Lutherzwerg oder Lutherbotschafter?“ (M 1.2.) setzt sich in Form eines Interviews mit dem EKD-Beauftragten für Wittenberg, Stephan Dorgerloh, mit dem Phänomen auseinander und regt Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I zum Nachdenken über diese Formen der Erinnerungskultur an.
Alternativ oder zur Vertiefung, besonders im Geschichtsunterricht, dienen Bilder von Lutherdenkmälern, die im 19. und 20. Jahrhundert entstanden sind (M 1.3.). Hierzu kann man weitere Bilder im Internet recherchieren – Lernende können daraus eine Präsentation gestalten. Die in M 1.3. gesammelten Bilder zeigen, dass Denkmäler immer auch eine Botschaft transportieren – ob die des bibelbezogenen Theologen im Gespräch mit Gott oder des streitbaren Reformators, dem später der Satz „Hier stehe ich nun, ich kann nicht anders“ in den Mund gelegt wurde (der Satz findet sich oft auf Luther-Denkmälern, Figuren und Darstellungen). Lernende können performativ dem Denkmal einen Satz in den Mund legen.
Über die Entstehung von Lutherdenkmälern reflektiert ein ausführli-cher und sprachlich anspruchsvoller Artikel (M 1.4.) als Material für die Sek II aufbereitet wurde. Der ausführliche Artikel ist nur auszugsweise für Oberstufenschüler verstehbar. Da die Hinweise auf die Lutherdenkmäler in Wittenberg und Worms gut aufgearbeitet werden können, wird darauf in den Aufgabenstellungen Bezug genommen.
Der zweite Schwerpunkt betrifft die Frage,
wie sich die konfessionelle Landschaft seit der Reformation verändert hat. Durch das im Augsburger Religionsfrieden 1555 festgelegte „cuius regio - eius religio“ (Wessen Herrschaftsgebiet, dessen Religion soll gelten) und das spätere landesherrliche Kirchenregiment gibt es evangelische und katholische Regionen mit einer langen Tradition ( s.a. Baustein 3a Die Zeit). Durch den „Traditionsabbruch“ und das Streben zu mehr Zusammenarbeit (Ökumene) verschwimmt heute das Bewusstsein für konfessionelle Besonderheiten und Begriffe, die in diesem Zusammenhang entstanden sind.
In einem ersten Schritt (M 2.1.) wird daher in einem Text für Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I Begriffen nachgegangen, die in der Betrachtung der reformatorischen Kirchen heute begegnen: „evangelisch“, „protestantisch“, „lutherisch“, „reformiert“, „uniert“ und „freikirchlich“. Darüber hinaus werden auch die Begriffe „römisch-katholisch“, „altkatholisch“ und „orthodox“ bedacht. Eine sich daran anschließende Rechercheaufgabe kann sein, der Tradition der jeweiligen Landeskirche nachzuspüren, der ein Lernender angehört oder auf deren Territorium er oder sie lebt. Die meisten Evangelischen in Deutschland gehören heute Landeskirchen an, die „uniert“ sind, weil sich auf deren Territorien in der Regel vor rund 200 Jahren lutherische und reformierte Christen zusammengeschlossen haben. Wo es zuvor die Dominanz einer Tradition gab (beispielsweise in der unierten Evangelischen Kirche in Baden ist es die lutherische und in der Evangelischen Kirche der Pfalz ist es die reformierte Tradition), ist dies heute noch an Kirchenräumen und in der Liturgie erkennbar. Aber auch wenn Schülerinnen und Schüler in Regionen leben, wo es katholische und evangelische Dörfer oder Landstriche gibt, kann dem Phänomen nachgegangen werden (oft liegen dem alte Herrschaftsverhältnisse zugrunde, die über einen Heimatkundeverein oder ein Archiv ermittelt werden können).
Ein dritter Schritt geht aktuellen Fragen nach, die derzeit im „Brenn-punkt Ökumene“ diskutiert werden. Der Text (M 2.2.), gedacht für Schülerinnen und Schüler ab der Klassenstufe 10, stammt von Paul Metzger, Referent für Catholica am Konfessionskundlichen Institut in Bensheim. Er hat ein Buch unter diesem Titel veröffentlicht. Hierbei kann auch die Herkunft des Begriffes „Ökumene“ geklärt werden.
Der Auszug des Briefes des Ratsvorsitzenden der EKD, Heinrich Bed-ford-Strohm, und die Antwort des Vorsitzenden der katholischen Bischofskonferenz, Reinhard Kardinal Marx, zeigen, wie man bei der Gestaltung des Reformationsjubiläums 2017 aufeinander zugeht (M 2.3.). Im vollständigen Schreiben, das als Text für die Sekundarstufe II geeignet ist, werden die bisherige Erinnerungskultur, gemeinsame Schritte aufeinander zu sowie als Vision gemeinsame Aktionen im Blick auf 2017 vorgestellt. Die Statements sollen auf ihre Umsetzbarkeit überprüft und es kann eine Podiumsdiskussion durchgeführt werden, bei der die Schülerinnen und Schüler offene Fragen und die in den Briefen vorgestellten Visionen in Form eines Pro- und Contra diskutieren. Ergänzend kann zu den Aufgaben der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) recherchiert werden, dem Forum, in dem verschiedene christliche Kirchen zusammenarbeiten. (www.oekumene-ack.de/aktuell)
Ein dritter Schwerpunkt bei „Reformation Heute“ ist der
Umgang mit Lebensfragen, festzumachen an dem heutigen Umgang mit einem der zentralen Themen der Reformationszeit, „Angst und Vertrauen“. Hier muss an der Weltsicht der Zeit damals (Angst vor dem Tod, vor dem Weltgericht, vor Hölle und Fegefeuer) und der reformatorischen Erkenntnis Luthers als Überwindung dieser Angst angeknüpft werden.
Der Baustein „Ich habe Angst“ (M 3. 1.) hat dabei die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I im Blick. Drei Statements von Jugendlichen sollen motivieren, damit sich Schülerinnen und Schüler mit eigenen Angsterfahrungen auseinandersetzen und über Strategien zur Angstbewältigung in Gespräch kommen. Sinnvoll sind an dieser Stelle kreative Gestaltungsformen (Plakat, Arbeit mit Farben, Musik…).
Vertieft werden kann dieser Aspekt in der Sekundarstufe II durch den Ansatz des Tiefenpsychologe Fritz Riemann (M 3.2.). In seinem Buch „Grundformen der Angst“ (1961) beschreibt er Grundängste, die allen Menschen gemeinsam sind. Mithilfe des Textes kann das Phänomen Angst und die Auswirkungen von Angst auf das Lebensgefühl von Menschen in den Blick genommen werden.
Ein Rückblick auf Martin Luthers Umgang mit Ängsten inklusive Fragen zur Aktualisierung bieten die Texte „Luthers reformatorische Entdeckung (M 3.3.) für die Sekundarstufe I und „Luthers Selbstzeugnis“ (M 3.4.) für die Sekundarstufe II. Diese Bausteine eigenen sich daher auch besonders für den Geschichtsunterricht (Ängste der Menschen im Spätmittelalter, s.a. Baustein 1 Vorreformation). Bei der praktischen Umsetzung bietet sich für M 3.3. die Methode „Standbild“ an (Luther vor und nach der reformatorischen Entdeckung) sowie die Entwicklung einer Spielszene zu den zentralen Textaussagen. Für die Sekundarstufe II (M 3.4.) können die Aussagen im Römerbrief untersucht und disku-tiert werden: Gott ist gnädig und barmherzig, er spricht gerecht. Das neue Lebensgefühl und die veränderte Lebenspraxis kann im Blick auf das Heute überprüft werden, vielleicht anhand einer Diskussion über „Wer hat heute Angst vorm lieben Gott?“.
Welche Relevanz Luthers Entdeckung für den Umgang mit Angst in der heutigen Zeit haben kann, zeigen die Bausteine M 3.5. für die Sek I und M 3.6. für die Sek II.
Reinhard Meys „Zeugnistag“ (M 3.5.) kann als modernes Gleichnis gesehen werden, das die Entdeckung Luthers umschreibt. Der gnädigen Gott beurteilt den Menschen nicht danach, was er leistet, sondern danach, was er ist: Sein geliebtes Kind. Dies kann Menschen Halt und Zuversicht geben und vielleicht ein Baustein sein, um Ängste zu überwinden.
Vertiefend geht der Text des Theologen Thorsten Dietz (M 3.6.) auf die Rolle ein, die die Bewältigung von Furcht für die Entwicklung der reformatorischen Theologie Luthers spielte. Der Autor betont, dass es – auch hinsichtlich heutiger Erfahrungen - nicht um das Ziel der Furchtlosigkeit und absoluten Angstfreiheit, sondern darum, dass Angst und Furcht nicht mehr die bestimmende Lebensmacht sein sollen. Diese These kann von den Schülerinnen und Schülern diskutiert werden.
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